Immer wieder wird die Frage gestellt, ob man bei einem gestutzten Sittich oder Papagei, die Federn ziehen lassen soll, um das Nachwachsen der neuen Federn zu beschleunigen. Weiterlesen ...
Weitere Artikel über die Gesundheit von Papageien & Sittichen findest du hier.
Etliche der von mir übernommenen Papageien waren bei der Übergabe mehr oder minder extrem gestutzt. Einige davon sogar einseitig. Meine damalige vogelkundige Tierärztin empfahl bereits bei der Übernahmeuntersuchung, diese Federn ziehen zu lassen.
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Da es gut eineinhalb bis zwei Jahre dauern kann, bis die betroffenen Federn komplett durchgemausert sind, habe ich auf Anraten der vogelkundigen Tierärztin bei meinem einseitig gestutzten Graupapagei diese Federn ziehen lassen. Dies geschah natürlich unter Narkose. Eine Feder ziehen ist in etwa so schmerzhaft wie einen Fingernagel ziehen. Mehrere Federn ziehen ist also vergleichbar mit Folter.
Eine Feder ziehen ohne Narkose ist deshalb nur im absoluten Notfall zu vertreten. Das heißt, wenn der Papagei oder Sittich sonst verbluten würde. Auch das ist allerdings nicht ganz ohne. Darüber berichte ich später noch.
TIPP
Hast du noch keinen guten vogelkundigen Tierarzt (oder bist du dir nicht sicher, ob deiner wirklich gut ist?) Dann lies meinen Artikel Vogelkundiger Tierarzt – Der ultimative Leitfaden
Federn ziehen schadet häufig anstatt zu helfen
Federn ziehen Gefahr #1: Schutzlosigkeit für neue Federn
Wenn ein Papagei oder Sittich mausert, fallen nicht alle Federn auf einmal, sondern nach und nach aus. Die noch vorhandenen alten Federn schützen dabei die empfindlichen nachwachsenden Federn. Auch gestutzte Federn können die Nachwachsenden Federn zumindest ein wenig schützen.
Federn ziehen bedeutet, dass die nachwachsenden Federn völlig ungeschützt sind. Das kann dazu führen, dass diese immer wieder abbrechen. Hinzu kommt eine nicht unerhebliche Blutungsgefahr, wenn die jungen Blutkiele beschädigt werden.
Federn ziehen Gefahr #2: Dauerhafte Schädigung der Federn
Beim Federn ziehen können die Feder-Follikel beschädigt werden. Das kann dazu führen, dass die Federn dauerhaft gar nicht oder nur verkrüppelt - also unnütz für den betroffenen Vogel - nachwachsen. Statt einer kurzfristigen Behinderung wird der Vogel dann lebenslänglich flugunfähig.
Federn ziehen Gefahr #3: Verletzungsgefahr für den Vogel
Selbst mit gestutzten Federn haben Papageien & Sittiche noch ein bisschen Auftrieb, wenn sie heftig flatten. Nach dem Federn ziehen ist selbst dieser Auftrieb nicht mehr vorhanden. Dies bedeutet, dass ein Vogel, dessen Federn gezogen wurden, wie ein Stein zu Boden fällt, wenn er das Gleichgewicht verliert.
Dies kann zu üblen Verletzungen führen, die weitere Probleme mit sich bringen. Neben Knochenbrüchen ist ein besonders häufiges Problem das Aufplatzen der Brust. Diese muss unter Narkose genäht werden. Eine Narkose stellt immer ein Risiko dar. Oft benagen sich die Vögel an der Naht. Dies kann zu schlechtem Verheilen und auch dauerhaften Problemen mit Rupfen und sogar Selbstverstümmelung führen.
Federn ziehen Gefahr #4: Risiko & Nutzen
Federn ziehen sollte aufgrund der enormen Schmerzhaftigkeit nur unter Narkose durchgeführt werden. Narkosen sind jedoch für unsere Papageien & Sittiche immer ein Risiko. Da der Nutzen des Federn-Ziehens eher zweifelhaft ist, solltest du sehr genau überlegen, ob es das Risiko wirklich wert ist.
Mein Graupapagei und das Federn ziehen
Bei meinem Graupapagei dauerte es aus den obigen Gründen zwei Jahre, bis sie nach dem Federn ziehen auch nur wieder ein wenig fliegen konnte. Nach dem Federn ziehen stürzte sie ständig ab. Dabei brach sie nicht nur die neuen Blutkiele ab, sondern verletzte sich auch schlimm und musste genäht werden.
Deshalb musste sie monatelang in einem ganz flachen Nagetierkäfig verbringen. Nur so konnte sie geschützt werden. Dies ist unglaublich grausam für einen Vogel, der Freiheit außerhalb des Käfigs kennt.
Es war ein ganz großes Elend, das nicht spurlos an ihrer Persönlichkeit vorbeigegangen ist. Sie blieb weiterhin sehr ängstlich und unsicher.
Zum Vergleich: Ein Graupapagei, dem die Federn nicht gezogen wurden
Zur gleichen Zeit übernahm ich eine weitere Graupapageien-Henne, der ebenfalls die Federn gestutzt worden waren. Bei diesem zweiten Vogel, liess ich die Federn nicht ziehen. Sie konnte fast zwei Monate vor der anderen wieder fliegen.
Fazit
Graupapagei Nr. 1 wurden gestutzte Federn gezogen. Dazu wurde sie einer schmerzhaften Prozedur, inklusive einer potentiell gefährlichen Narkose, unterzogen. Der Erholungsprozess war qualvoll und dauerte länger als bei Graupapagei 2, deren Federn nicht gezogen wurden.
Dies spricht deutlich dafür, gestutzte Federn nicht ziehen zu lassen.
Gibt es Ausnahmen für das Federn ziehen?
Meines Erachtens gibt es zwei Ausnahmen, bei denen Federn ziehen durchgeführt werden sollte:
1. Federn ziehen im Notfall
Manchmal brechen Blutkiele so ungünstig ab, dass die Blutung nicht gestoppt werden kann. In dem Fall muss der Blutkiel gezogen werden, um die Blutung zu stoppen. Die sollte von einem vogelkundigen Tierarzt gemacht werden, um
a) Sicher zu gehen, dass die Blutung wirklich nicht anders gestoppt werden kann
b) Um weitere Probleme durch unsachkundiges Federn-Ziehen zu vermeiden.
- Dazu kann gehören, dass der Federkiel immer weiter zerfranst wird, aber immer noch feststeckt. Das das kann das Federn-Ziehen extrem erschweren und die Blutung verschlimmern.
- Geschädigte Follikel , verletzte und sogar gebrochene Flügel sind keine Seltenheit, wenn Laien versuchen, Federn selbst zu ziehen.
TIPP
- Weitere Infos zu Erste Hilfe bei blutenden Federkielen findest du in meinem Erste-Hilfe Buch.
- Falls du einen akuten Notfall hast und meine Hilfe brauchst, kannst du einen Notfall-Termin hier buchen.
- Falls du Fragen zu Gesundheit und Haltung hast, dann komme in meine wöchentliche Sprechstunde für Vogelschule-Mitglieder (Divis).
2. Federn ziehen, wenn der Wachstumsimpuls fehlt
Wenn Federn extrem kurz gestutzt werden, kann es passieren, dass keine neue Feder nachwächst. Die alte Feder bleibt also stecken und muss entfernt werden. Dies sollte vom vogelkundigen Tierarzt beurteilt werden. Wie bereits gesagt, kann es eineinhalb bis zwei Jahr dauern, bis Federn durchmausern. Geduld ist nötig!